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Nachgestelltes Foto - Am Tag der Reise war da mehr Schnee. Unglaubliche 10 cm Schnee! |
Ein Reisebericht der besonderen Art
Der Tannenberg liegt nicht am Ende der Welt. Oder vielleicht
doch. Jedenfalls für die Marburger. Wer in der Linie 8 fährt, wird irgendwann
eine gottgleiche Stimme hören. Platz der
Weißen Rose. Endstation. Alle Fahrgäste bitte aussteigen.
Der Bus wird dann einen Kreisel befahren und den selben Weg zurück fahren.
Zumindest, wenn man Glück hat. Oder gutes Wetter. Was bei den Stadtwerken wohl
auf das selbe hinausläuft. Vielleicht sollte man die Stadtwerke
Schönwetterwerke nennen.
Auf dem Tannenberg gibt es keine Geschäfte, und nur ein kleines Cafe. Aber jede
Menge Firmen, die der Stadt Marburg sicherlich den Steuersäckel füllen.
Normalerweise werden diese recht zuverlässig durch die Linien 8 und 17 hin- und
wegtransportiert. Wenn, ja wenn denn kein Schnee fällt.
Gestern (damit ist der 12. März 2013 gemeint) schneite es, was im Winter schon mal vorkommen kann. Etwa 10 cm Schnee
sind noch kein Schneechaos, bei weitem nicht. Aber sie reichen, um die
Stadtwerke an ihre Grenzen zu bringen. Irgend einer der wartenden Fahrgäste hat
irgendwann bei der Hotline angerufen und erfahren, dass der Bus
steckengeblieben ist, und kein weiterer kommen wird, solange dieser nicht
geborgen sei.
Wir erinnern uns: etwa 10 cm Schnee. Chaos.
Ich hoffte auf den nächsten Bus (oder den übernächsten), weil in der Gegend
einfach nichts ist, wo man einen Einkaufsbummel hätte unternehmen können und
eine Übernachtung auf der Arbeitsstelle sicherlich nicht durch den
Arbeitsvertrag abgedeckt ist. Doch als dann zwei weitere Busse nicht gefahren
waren, rief auch ich bei der Hotline an, um zu erfahren, ob denn überhaupt
etwas fahre.
An der Hotline druckste man etwas herum, murmelte von höherer Gewalt, und dass erst wieder Busse fahren würden, wenn der
Streudienst die Straße frei gäbe. Deren Nummer wolle man mir gerne geben. Auf
meine Frage, ob man denn nicht kleinere Busse, wie die vom AST einsetzen könne,
wurde lapidar mit Die fahren erst ab 19 Uhr beantwortet. Ja, die Bürokratie
bringt ihre eigenen Helden hervor. Das sind die modernen
Dienstleistungsbetriebe, die Kundenservice groß schreiben. Zumindest in der
Werbung, die Hotline auf dem Fahrplan war sehr klein geschrieben und die
Kostenhinweise noch kleiner.
Die anderen Fahrgäste hatten sich mittlerweile Alternativen gesucht. Einige
gingen zu Fuß, ein Mädchen rief ihren Papa an, der sie auch brav abholen kam.
Ein Hoch auf die Familie, wenn man noch eine hat.
Ein weiterer Bus fuhr nicht, und ein neuer potentieller Fahrgast erkundigte
sich bei mir, ob die Busse denn überhaupt führen. Ich antwortete, dass dies
höchst fragwürdig sei.
Nachdem auch der nächste Bus nicht fuhr, erklärte mein neuer Leidensgenosse,
dass er einen Fußweg in die Stadt kenne, der kürzer sei. Der sogenannte
Totenweg. Dort hätte man früher aus Ockershausen die Toten zur Kirche in
Oberweimar gebracht.
Den namen fand ich abenteuerlich, und mangels einer vernünftigen Alternative
stiefelte ich mit meinem neuen Bekannten los. Der Weg führte irgendwann von der
Straße ab, wobei wir beinahe die Abzweigung verpassten. Hier gestand mir mein Begleiter,
dass er fast blind sei und bei der Blista arbeite. Trotzdem nahmen wir den Weg,
weil man den eigentlich gar nicht verfehlen könne.
Ich habe den Hobbit gelesen. Dort sagt Blbo Beutlin, dass es gefährlich sei,
eine Straße zu betreten, da man am Ende nie wisse, wo man lande. Nun, ich ging
davon aus, dass wir in Ockershausen landen würden. Wenngleich der Weg wirklich
sehr schön gelegen war, sich durch die Berge schlängelte, an einer Quelle
vorbei und einer beinahe unberührten Natur.
Dieses Abenteuer verdanke ich den Schönwetterwerken. Leider fiel mir erst
mitten in diesem Abenteuer ein, dass es ein gefährliches Abenteuer war, für
mich als Diabetiker. Ich hatte zwar mein Not-Traubenzucker dabei, aber mein
Blutzuckermessgerät versagte in der Kälte seinen Dienst. Und ein Notarzt hätte
mich dort wohl nie gefunden.
Aber he, Diabetes ist eine Zivilisationskrankheit, und nichtfahrende Busse sind
es auch. Passt ja.
Mein Begleiter führte mich dann einen kleinen Pfad entlang, sodass wir nach ca 1
Stunde das Georg-Gssmann-Stadion erreichten. Gut, da war auch Schneechaos,
sodass der Bus an der Park und Ride Station auch nicht vorbeifuhr. Kann man ja
auch nicht erwarten, mitten im Winter. Auch ohne Berg. Und ich lief dann auch
noch bis zum Williamsplatz, bis ich die echte Zivilisation (also fahrende
Busse) erreichte. Von da kam ich dann per Bus zum Bahnhof, wo ich ein AST nach
Schönstadt erreichte. Das zweite, das erste hatte ich aufgrund meines
Abenteuers verpasst.
Allerdings war ich sehr erstaunt. Der Landkreis hatte die Probleme nicht, mit
der die Stadt Marburg kämpfte. Die Straßen nach Schönstadt waren frei, und in
Cölbe sah ich ein Räumfahrzeug, das sich Zeit nahm, die Bürgersteige vom Schnee
zu befreien. Aber das sind ja auch Landburschen und nicht verweichlichte
Städter, für die 10 cm Schnee schon ein Chaos bedeuten.
Ich werde übrigens heute wieder mit dem Bus fahren. Obwohl Schnee fällt. Denn
mein Arbeitgeber erwartet das von mir. Er bezahlt mich dafür, und er macht
keinen Unterschied zwischen Sommer und Winter. Die Stadt werke auch nicht. Im
Winter sind die Monatskarten nicht billiger, als im Sommer. Sie verlangen viel
Geld dafür, dass sie mich transportieren. Meistens jedenfalls. Wenn kein Schnee
fällt. Oder so.